Fritz Walter hätte seine wahre Freude an Freetown gehabt, gilt doch Regenwetter in Fußballerkreisen bis heute als „Fritz-Walter-Wetter“ (Die Bezeichnung „Dem Fritz Walter sein Wetter“ ist eine falsche Überlieferung, da er nie für einen Klub im Ruhrgebiet gespielt hat – gesichert hingegen ist die Bezeichnung „Dem Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion“ für den Bolzplatz in einer Turnhalle westlich von Herne).
Unvergessen ist die berühmte Szene aus dem Film „Das Wunder von Bern“ – für uns Männer mindestens so wichtig wie für Frauen „Titanic“ – als die ganze Mannschaft am Morgen des Endspiels gen Himmel schaut und die Regenwolken förmlich herbeizuflehen scheint. Wie es ausging, wussten wir ja glücklicherweise schon vorher – und zwar bei beiden Filmen. Den über das unsinkbare Schiff habe ich mir daher erspart, den Fußballfilm allerdings schon mehrfach gesehen. DAHW-Team S-L 072
Jedenfalls ist in Freetown ständig Fritz-Walter-Wetter, denn hier in den Tropen zieht fast täglich ein kurzer Regenschauer auf. Während der Regenzeit kann dies auch schon mal länger dauern, und die dauert hier von Mai bis Dezember. Freetown ist mit 5.000 Litern Regen pro Quadratmeter – das entspricht einer Wasserhöhe von fünf (!) Metern – die wohl feuchteste Hauptstadt der Welt.
Während unserer Tour durch das Land haben wir richtig Glück gehabt: Saßen wir im Auto, hat es geregnet – kaum angekommen, klarte der Himmel auf. Meine Begleiter und ich stimmen bis heute darin überein, dass der liebe Gott die Arbeit der DAHW hier in Sierra Leone wohl ganz besonders zu mögen scheint.
Am Wochenende war das Programm deutlich ruhiger, daher war es wohl auch mit dem Einsehen vorbei: Dauerregen seit Samstag früh! Die Lagune von Freetown hat sich schon rost-rot verfärbt durch den Schlamm, den der Regen ins Meer hinein spült. Erdrutsche verstopfen immer wieder die Straßen, die ansonsten in der Hauptstadt eigentlich gut zu befahren sind.
Etwas außerhalb der Stadt besichtigen wir noch ein DOTS-Zentrum, in dem mehr als 400 Tuberkulose-Patienten versorgt werden. Obwohl an ein Hospital angeschlossen, gibt es hier lediglich eine Ärztin für die vielen Patienten mit der tödlichen Krankheit. Zu groß ist die Verlockung für die wenigen gut ausgebildeten Ärzte, in den reichen Ländern des Nordens für viel mehr Geld zu arbeiten.
Die meisten Ärzte aus Sierra Leone arbeiten in Deutschland, sagt die Ärztin, die in Polen studiert hat, als in Berlin noch die Mauer stand. Damals hat sich das Land an die sozialistischen Länder angelehnt, es gab Abkommen über Handel, über Waffenlieferungen und eben auch über die Ausbildung junger Menschen aus Sierra Leone in den Staaten des Ostblocks. Bezahlt wurden die Jahre an den volkseigenen Universitäten mit Sklavenarbeit: Die jungen Ärzte mussten fünf Jahre lang in dem Land arbeiten, das sie ausgebildet hatte.
Viele von ihnen sind für immer in Osteuropa geblieben, denn trotz aller Mangelwirtschaft war das Leben dort deutlich angenehmer als in Sierra Leone. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war die Tür dann offen, um mit der Ausbildung auch das große Geld zu verdienen in den Krankenhäusern oder Pharmakonzernen Westeuropas. Nur wenige sind in ihre Heimat zurückgekehrt, der Mangel an medizinischem Personal ist überall mehr als deutlich zu sehen.
Auf der Rückfahrt sehen wir dann ein weiteres Versagen der Politik – das heißt, wir sehen sie eben nicht mehr: Die inzwischen abgeholzten Wälder, die einst sämtliche Hügel rund um Freetown bedeckt hatten. Glauben Sie aber jetzt bloß nicht, dies sei ein typisches Problem von Entwicklungsländern: Die reichen Staaten aus Europa und besonders aus Nordamerika haben es vorgemacht.
Schlimmstes Beispiel ist die Botschaft der USA: Ein ganzer Hügel wurde extra für den Neubau gerodet – viel mehr, als für das eigentliche Gebäude notwendig gewesen wäre. Aber wir in einem schlechten Western gilt schon seit langer Zeit für Amerikaner im Ausland das „Wagenburg-Prinzip“: Falls jemand angreifen sollte, ziehen sich die tapferen Siedler in ihren Verteidigungsring zurück und ballern auf alle Gelb-, Schwarz- oder Rothäute, die sich ihnen nähern wollen. Also musste eben der ganze Hügel dran glauben, damit man rechtzeitig sehen kann, wer sich dem ehrwürdigen Gebäude nähert.
Die rost-roten Rinnsale rund um diesen Hügel werden immer breiter und in manchen Straßen bleibt der angeschwemmte Schlamm einen halben Meter hoch liegen. Die ersten Gebäude an den Hängen stehen bereits nicht mehr so gerade, wie es eine deutsche Handwerksordnung verlangen würde. Das Mitleid darüber hält sich allerdings bei uns allen in Grenzen, denn das sind Ghettos für Reiche – zumeist Mitarbeiter der Botschaften, mit Mauern rund herum und schwer bewacht, damit der Pöbel keinen Zutritt bekommt.
Wir fragen uns nur, wie viele Regenzeiten diese Häuser wohl noch überstehen werden – das wäre doch mal ein Akt der Gerechtigkeit, wenn es ausnahmsweise mal nicht die Hütten der Ärmsten sein sollten, die von Fluten und Erdrutschen weg gespült werden, sondern die Paläste derjenigen, die für diese Umweltsünden verantwortlich sind. Überall in der Stadt ist nämlich zu erfahren, dass schon seit vielen Jahren dort eigentlich gar nicht gebaut werden dürfte, weil der wenige noch vorhandene Regenwald eigentlich geschützt werden sollte. Aber das griechische Fakelakis-System macht ja bekanntlich vieles möglich, wie wir inzwischen auch in der EU wissen.
Morgen fliege ich wieder nach Hause, daher habe ich eben mal im Internet, das hier ab und zu auch funktioniert, nachgesehen, wie das Wetter daheim aussieht. Und – was soll ich sagen – ich habe meinen Wintermantel nicht eingepackt. 22 Grad, das ist doch kein Sommer – ich will hier bleiben! Mal im Ernst: Ich fliege mit einem kleinen lachenden und einem großen weinenden Auge wieder zurück nach Deutschland.
Natürlich freue ich mich auf Zuhause – keine Frage: Etwas mehr Ordnung und Sauberkeit, etwas mehr Umweltbewusstsein, etwas weniger Chaos und keine Armut. Bevor jetzt wieder Beschwerden kommen: Ich habe ernsthaft versucht, den Menschen hier zu erklären, dass wir auch in Deutschland über Armut reden und es dafür sogar eine gesetzliche Definition gibt. So richtig geglaubt hat mir das allerdings niemand, und das, was wir in Deutschland Armut nennen, würde hier noch als wahnsinnig reich durchgehen. Vielleicht einigen wir uns also darauf, dass es in Deutschland auch Menschen gibt, die nicht so reich sind wie der Durchschnitt.
Jetzt aber das weinende Auge: Ich mag Afrika, ganz besonders dieses Land! Trotz aller Probleme, trotz aller Widrigkeiten, trotz der Armut und der vielen dadurch vorhandenen Krankheiten sind doch die meisten Menschen zufriedener mit ihrem Leben als die meisten Menschen in Deutschland, ob nun reich oder nicht. Neid und Missgunst sind in Sierra Leone nur wenig verbreitet.
Trotz des Wetters machen wir noch einen kleinen Umweg und meine Begleiter zeigen mir die wunderschönen Stände – voller Stolz, denn viele Menschen sagen, sie seien die schönsten der Welt. Dieser Meinung schließe ich mich gerne an und beschließe, demnächst wiederzukehren in dieses faszinierende Land: Ohne Arbeit, sondern nur, um die herrliche Natur zu genießen, die ich in dieser wunderschönen Form noch nirgendwo auf der Welt gesehen habe.