Steine klopfen ist ein hartes Stück Arbeit, in Liberia jedoch auch ein ehrbares Handwerk. Hier wird halt viel gebaut und dafür werden viele Steine benötigt. Das aber Kinder missbraucht werden, um diese harte Arbeit zu machen, geht weit über alle Grenzen von An- und Verstand hinaus, ist einfach nicht zu rechtfertigen. Denn diese Kinder werden ihrer Zukunft beraubt, wenn sie – anstatt eine Schule zu besuchen – den ganzen Tag lang Steine schleppen oder klopfen müssen. Kinderarbeit in jeder Form ist zu verurteilen, wenn es weit über das einfache Mithelfen innerhalb der Familie hinausgeht und den Schulbesuch verhindert. Das ist dann die ausbeuterische Kinderarbeit, die ich heute hier leider sehen musste.11-Steine-Harbel-2 021-klein
In Harbel nahe der Hauptstadt Monrovia steht ein Haus der Consolata-Schwestern, die auch das Lepra-Hospital in Monrovia betreiben. Hier kümmern sie sich um ein kleines Dorf und dessen Schule. Viele der Kinder haben früher auch im Steinbruch gearbeitet, nur eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Doch immer, wenn die Schwestern ein paar Eltern überzeugen konnten, ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen, sind sofort neue da, um die Arbeit zu übernehmen. Denn der Bedarf ist riesig.
Es gibt zwei Arten von Steinbruch-Arbeitern. Die einen, die – quasi als „Ich-AG“ für sich selbst arbeiten und ihre Waren am Straßenrand zum Verkauf anbieten. Wer gerade sein eigenes Haus baut und nur wenig benötigt, besorgt sich seine Steine bei diesen Menschen. Ein kleiner Haufen kostet ungefähr 100 Liberianische Dollar, fast ein Tagesverdienst.
Ein bis zwei Haufen pro Tag verkauft ein kleiner Steinhändler, vier bis fünf könnte er im gleichen Zeitraum produzieren. Es ist eine harte, aber anständige Arbeit, mit der man seine Familie ernähren und seine Kinder zur Schule schicken kann. Reich wird man damit nicht, aber diese Menschen sind stolz auf das, was sie machen und lassen sich gern mit ihren Steinen fotografieren.
Nur wenige Schritte weiter komme ich zu einem Ort, an dem plötzlich alle anfangen zu laufen. Zunächst denke ich, es ist gerade Mittagspause, ein Tor in einem wichtigen Fußballspiel gefallen oder der Eismann kommt. Zugegeben, letzteres ist hier doch eher unwahrscheinlich, doch wenn Kinder so schnell rennen und das alle auf einmal, dann kommt automatisch dieses Bild aus der eigenen Kindheit. 11-Steine-Harbel-2 006-klein
Dann plötzlich: Zwei Frauen kommen aufgeregt mit den Armen wedelnd auf mich zu: „No Photo, no Photo!“ OK, manche Menschen möchten halt nicht fotografiert werden denke ich noch recht arglos, aber irgendetwas stimmt dort wohl nicht. Und mein alter journalistischer Spürsinn hat sich nicht getäuscht: Dies ist die zweite Sorte der Steineklopfer, die gut organisierten Banden, die Kinder ausbeuten und damit viel Geld machen.
„China constuctions“, meint der alte Mann, der seit 40 Jahren hier seine selbst gehauenen Steine zum Verkauf anbietet und klärt mich auf. Wenn Chinesische Firmen hier in Liberia Gebäude bauen, dann keine Einfamilienhäuser, für die sie vielleicht ein paar Häufchen Steine brauchen. Sie bauen ganze Ministerien, große Verwaltungsgebäude für die UN-Missionen, breite Straßen für die dicken Autos der dort schlafenden Beamten und ebenfalls für diese natürlich Hotels sowie Luxus-Appartementhäuser in bester Lage mit hohen Mauern darum, damit der Pöbel möglichst nicht stört.
Dafür braucht man die Steine natürlich gleich in Ladungen von mehreren LKW, und hier kommen die dubiosen Steinhändler ins Spiel: Ein erfahrener Steineklopfer verlangt 100 Lib-Dollar pro Haufen und könnte bis zu fünf davon pro Tag liefern. Ein Kind schafft zwar nur drei bis vier, bekommt pro Haufen allerdings auch nur 20 Lib-Dollar. Macht unterm Strich 1,20 US-Dollar Gewinn pro Haufen.
Auf einen LKW passen rund 1000 dieser Haufen, und täglich verlassen mehrere davon den Steinbruch. Die Hintermänner selbst sieht man nicht, die verbringen den Tag entweder mit ihren Auftraggebern oder in mondänen Bars in Monrovia – oder gleich beides zusammen. Ein paar Frauen bewachen die Kinder, sorgen für die notwendige Arbeitsleistung und dafür, dass sie sofort fliehen, wenn mal unangenehmer Besuch kommt. So wie ich jetzt mit meiner Kamera. Dass Kinderarbeit eigentlich geächtet ist, wissen sie also und profitieren dennoch selbst vom Leid der Kinder. 11-Steine-Harbel-2 091-klein
Zum Glück sind diese Capos nicht so gut wie ihre chinesischen Lehrmeister. Bei diesen Frauen reicht es aus, einen deutlichen Abstand zu wahren und dann in aller Ruhe mein großes Teleobjektiv auf die Kamera zu montieren, während die Kinder wieder an die Arbeit getrieben werden. Schande über diese Menschen, die sich so an den Kindern vergehen, nur um ihr eigenes Luxusleben zu finanzieren. Und noch viel größere Schande über die Auftraggeber der Kinderarbeit, die das alles wissen müssen.
Da lobe ich mir doch die angeblich so „kapitalistischen“ Unternehmen wie Firestone, die in Liberia ein Vorbild an Sozialkultur sind, nur wenige Kilometer vom Steinbruch entfernt, siehe Teil 2 von heute.