„Heldengedenktag“ hieß einmal ein Sonntag im November so ungefähr tausend Jahre lang (über die tatsächliche Dauer dieses Trauerspiels hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens, es könnte uns Deutschen sonst als Feigheit ausgelegt werden). Man sollte der Helden gedenken, die für das Vaterland ihr Leben ließen.
Als ob das eine Heldentat war: Raus aus dem Schützengraben, wenn es befohlen wurde. Nicht aber, weil es befohlen wurde, sondern weil man sonst von den eigenen Leuten hinter den Gräben erschossen wurde, die darauf achtgaben, dass wirklich alle anderen nach vorn stürmten. Nach vorn in den sicheren Tod, der nur wenig von Heldentum hatte. Er kam schnell, hoch technisiert und automatisiert sowie von einem anonymen Gegner, noch bevor man die Chance hatte, diesen zu sehen.
Heute sind andere „Helden“ gefragt: Fußballspieler, die Ghanta-2 044-kleinmit einer Millionengage genau vor der Kamera das Tor des Jahres schießen oder Heulbojen, die sich in den unzähligen Castingshows vor dem zu tosendem Applaus und Extase verdonnerten Publikum entblöden. Das nennt sich dann eine aufgeklärte Mediengesellschaft, allerdings darf ich die Aufklärung doch stark anzweifeln bei den unzähligen Menschen, die jede im Internet kursierende Verschwörungstheorie glauben.
Zum Glück gibt es aber auch die stillen Helden – seltsamerweise hieß genau so die Kategorie, in der Ruth Pfau erst vor wenigen Tagen der Bambi überreicht wurde. Da Bambi auch als Medienpreis bezeichnet wird und darin sogar der älteste und in Deutschland wohl bedeutendste ist, sind meine Zweifel an meinem eigenen Berufsstand also nur relativ. Aber das ist eine andere Geschichte und wurde schon so oft erzählt.
Was ich heute erlebe, sind die echten Helden. So echt wie echte Liebe (nein, obwohl ich Dortmunder bin, meine ich damit jetzt ausnahmsweise nicht den besten Fußballclubs der Welt). Und wie bei dieser kann man die Echtheit nicht kaufen oder herbeizaubern, auch nicht mit teurer Hilfe selbst der besten Werbe- oder Kommunikationsagentur. Sie ist entweder vorhanden oder nicht, und wenn sie vorhanden ist, muss sie auch erst entdeckt werden.
Die echten Helden sind Tag für Tag in Ghanta versammelt, hier im Leprosy-Rehab Hospital. So echt wie ich sie hier erlebe in ihrem Umgang mit den Patienten, von denen es leider immer noch viel zu viele gibt.
Wie sie Saturday seine Furcht vor den ungewohnten Untersuchungen genommen haben und wie sie die Menschen nach ihrer Odyssee aus Ablehnung und Anfeindung wieder auf ein „normales“ Leben vorbereiten, wird mich dazu bringen, einen Hut kaufen zu müssen, um ihn vor diesen Helden ziehen zu können.
Nicht nur heute, an diesem Tag, an dem ich dies alles erstmals erleben darf: Nein, jeden Tag leisten sie diese Arbeit für Menschen, die sonst nirgendwo Zuhause sind, überall ausgestoßen werden und sich selbst nicht mehr trauen, unter andere Menschen zu gehen. Hier darf jeder von ihnen Mensch sein – nicht schlechter oder nicht besser als jeder andere auch. Sollte eigentlich selbstverständlich sein, besonders in einer „aufgeklärten“ Welt. Ist es aber leider nicht.
Das Hospital in Ghanta ist eine der wenigen Ausnahmen und zum Glück ist es so echt wie die Helden, die hier arbeiten. Morgen geht es dann mit einem in Lepra ausgebildeten Krankenpfleger auf eine dreitägige Reise in das Hinterland. Kleine Dörfer, die auf keiner Landkarte verzeichnet und nur auf Wegen zu erreichen sind, bei denen die in Deutschland so beliebten Schnösel-Panzer in Geländewagenoptik wohl alle vermeintlich angetriebenen Viere von sich strecken würden. Kein Telefon, kein Internet, keine Hotels werden uns erwarten. Dafür viele Menschen, die erstmals seit vielen Jahren überhaupt eine medizinische Untersuchung erhalten werden. Und daher viele Menschen, die an Lepra erkrankt sind.