Für die DAHW arbeiten viele Menschen auf der halben Welt, und sie alle machen einen richtig tollen Job. Nicht von Ungefähr sind die Zahlen der Lepra-Neuerkrankungen in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen. Ein Teil davon ist zwar sehr kreativen und immer den eigenen Zielvorgaben folgenden Rechenkünsten in Indien und anderen Ländern geschuldet, aber trotzdem ist die Lepra-Arbeit überaus erfolgreich. Mittagessen-im-Lepradorf-01
Dass in Sierra Leone die Zahlen gestiegen sind, hat allerdings nicht die Ursache, dass die Arbeit hier schlechter läuft – im Gegenteil: Während des langen Bürgerkriegs waren Dr. Harding und ihre Vorgängerin als DAHW-Repräsentantin, Mrs. Fergusson, trotz der alltäglichen Bedrohung für Leib und Leben aktiv. Nur in den besonders heiß umkämpften Regionen im Norden und Osten – dort, wo auch die berüchtigten „Blutdiamanten“ gefunden werden – war eine Arbeit unmöglich.
Leider sind genau diese Gegenden die ärmsten des Landes, denn wie fast überall in Afrika profitieren die Einwohner nicht vom Reichtum durch die Diamanten. Und wo die ärmsten der Armen wohnen, grassiert die Lepra! Rund 15 Jahre war die Krankheit außer Kontrolle und konnte sich so ungehindert verbreiten. Erst seit Ende des Krieges können sich die DAHW-Teams wieder um die Kranken kümmern.
Nach einem Tag im DAHW-Büro in Freetown und dem Besuch einiger Tuberkulose-Projekte starten wir heute nach Kabala im Norden des Landes. Das heißt, wir fahren durch Kabala hindurch zu einigen Lepradörfern nahe der Grenze zu Guinea. „Nur“ rund 20 Kilometer weiter, aber die Fahrzeit allein für diese Strecke beträgt anderthalb Stunden. Straßen, die man nicht einmal Wege nennen kann, führen uns zum Dorf „Mile1“ – so klein, dass es keinen eigenen Namen hat, aber genau eine Meile entfernt liegt vom nächsten Verwaltungsposten des Distrikts.
Wie diese Dorfgemeinschaft mit Hilfe der DAHW-Sozialarbeiter ihr Schicksal meistert, ist sowohl bewunderns- als auch besonders erzählenswert, würde aber diesen Rahmen sprengen. Das werde ich an anderer Stelle ausführlich schildern – versprochen! Und obwohl bitterarm, sind diese Menschen hier mindestens so gastfreundlich wie Albaner aus dem Hochland.
Das Mittagessen auszuschlagen, wäre hier eine Beleidigung gewesen. Also löffeln wir zu fünft Reis aus einer gemeinsamen, großen Schüssel, in die auch ein frisch zubereitetes Huhn seinen letzten Weg gefunden hat. Die Krönung jedoch ist die Sauce, in der das Huhn die letzten Stunden verbracht hat: Die stellt fast alles in den Schatten, was ich jemals zuvor serviert bekommen habe, und – das darf ich in meiner Gewichtsklasse glaubwürdig bestätigen – ich habe schon so manches leckere Sößchen testen dürfen.
Etwas schwieriger als die Verdauung fällt uns dann die Suche nach einer Bleibe für die Nacht: Bis nach Makeni müssen wir fahren, um etwas zu finden, dass mir meine Begleiter auch zumuten wollen. Nach drei vergeblichen Versuchen in überfüllten Hotels finden wir ein Gästehaus, das sich zwar Hotel nennt, aber eigentlich meilenweit davon entfernt ist. Fast muss ich den Rest des Teams dazu nötigen, hier zu übernachten, indem ich immer wieder felsenfest behaupte, dies reiche mir völlig aus.
Ausreichend ist es auch für die Verhältnisse hier im Land – die Details erspare ich Ihnen lieber, vielleicht sitzen Sie ja gerade beim Frühstück. Beim Besichtigen der Zimmer fällt nur auf, dass sie jeweils ein Bett hatten und etwas, das man hier „Bad“ zu nennen pflegt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich meine Taschenlampe bei der Mückenjagd in Mbour wohl leider in dem dortigen Hotel vergessen habe (Teil 6 dieses Reisetagebuches).
Lange Rede – kurzer Entschluss: Wir nehmen die Zimmer! Beim Blick unter die hier übliche Tagesdecke auf den Betten treffe ich sogleich den nächsten: Diese Decke bleibt drauf! Sie scheint mir der noch sauberste Teil des gesamten Bettes zu sein, also kann ich ja auch darauf schlafen. Was das Moskitonetz schon alles erlebt hat – immerhin gibt es eines, möchte ich mir nicht vorstellen müssen und verzichte auch hier. Sie wissen schon, Ihr Frühstück.
„Die Sonne bringt es an den Tag“, pflegt meine Mutter immer zu sagen, wenn sie bei mir zu Besuch ist und auf die Fenster schaut, die nicht so ganz ihrer Definition von geputzt entsprechen. Wäre ich Ordnungsfanatiker, hätte ich mich wohl in die Riege der arbeitenden Bevölkerung eingereiht und wäre nicht Journalist geworden. Jetzt halte ich mich fast für einen, noch dazu mir Sauberkeitsfimmel. Aber das ist halt wie so vieles im Leben durchaus relativ.
Die ersten Sonnenstrahlen beim Aufstehen bringen hier allerdings keine Streifen auf Fensterscheiben zu Tage, es gibt nämlich keine – weder Streifen noch Fenster, auf denen sie erscheinen könnten. Dafür ermöglichen sie aber einen diskreten Blick in den Raum, den die Mitarbeiter des Hotels liebevoll „Bad“ nennen: eine Toilette, ein Abfluss wie für eine Dusche, dafür aber keine Dusche und auch kein Waschbecken.
Auch die Bezeichnung „Nasszelle“ würde hier in die Irre führen, setzte sie doch voraus, dass ein Anschluss an halbwegs fließendes Wasser vorhanden sein sollte. In der hintersten Ecke steht ein Bottich mit Wasser und einen kurzen Augenblick glaube ich, darin etwas zu entdecken, was für die Bewegungen an der verantwortlich sein könnte. Könnte natürlich auch sein, dass gerade in diesem Augenblick ein kleines Erdbeben geschieht, aber dafür müsste ich genauer nachsehen.
Da Sie inzwischen Ihr Frühstück beendet haben dürften, schildere ich Ihnen mein Dilemma: Um mich waschen zu können, müsste ich diesen Raum betreten, was ich eigentlich nicht zu tun gedenke. Ich wäre also ab: Der Dreck auf meiner Haut ist jetzt zwei Tage alt – heute früh gab es im Hotel in Freetown ebenfalls kein Wasser, aber auch keinen Bottich, nicht einmal ohne Leben darin. Aber immerhin: der Dreck ist jetzt seit zwei Tagen auf meiner Haut, ist also mein Dreck, den ich bereits gut kenne und der mich auch schon zwei Tage lang treu begleitet.
Wie alt der Dreck in diesem Nebenraum meines Zimmers ist, kann ich schlecht schätzen – in meiner Studentenzeit hatte ich mich eher auf neuzeitliche Geschichte gestürzt und das Altertum geschickt umschifft. Mein Entschluss lautet daher: Mein Dreck bleibt! Da weiß ich, was ich habe, mit dem bin ich inzwischen auf Du und irgendwie gehört er auch zu dieser Tour durch den Norden von Sierra Leone.