Zu den vielen Dingen, die aus den USA kommend in der ganzen Welt zu bekommen sind, gehören zweifelsohne Coca-Cola und der Hamburger. Gut, auf letztere kann man gerne verzichten – besonders, wenn die regionale Küche so begnadet gut ist wie hier in Sierra Leone. Mit vielen Menschen aus einer großen Schüssel zu essen ist ohnehin deutlich kommunikativer, als die kleinen Scheiben Quetschfleisch mit Hilfe eines pappigen Brötchens im Rekordtempo zu verschlingen. Regenzeit-Strassen in Sierra Leone
Auf einen Export sind US-Amerikaner aber besonders stolz, und das ist der „Nachrichten“-Sender CNN. Wo immer man sich in Afrika aufhält, flimmert dieser Sender von den Bildschirmen in den Hotels – oft die einzige Möglichkeit, sich zumindest rudimentär darüber zu informieren, was in der Welt passiert ist.
Allzu lange halte ich das dann aber doch nicht aus: Reporter, die aus Pakistan (zu viel Wasser) oder Moskau (zu wenig Wasser) ständig hinzugeschaltet werden, wirken aufgedreht wie Rockstars auf Koks. Weit ausladende Gesten erinnern mich an meine Lehrerin in der Grundschule. Fräulein Woltering hatte immer mit ihren Händen erklärt, was wir Erstklässler ansonsten nicht verstehen konnten.
Mir drängt sich nun die Frage auf: Für wie dumm hält CNN eigentlich seine Zuschauer? – Glauben die Mannen um Ted Turner wirklich, die ganze Welt hätte ein ähnliches Schulsystem wie die USA? Was zunächst lediglich nervig wirkt, wird bei den Berichten aus Pakistan schnell lächerlich, dann noch viel schneller sogar peinlich.
Während Hilfsorganisationen wie die DAHW, die bereits seit vielen Jahren in Pakistan arbeiten, ihre guten Strukturen nutzen, um den von der Flut betroffenen Menschen zu helfen und damit auch bereits schwer aktiv sind, lassen sich die CNN-Reporter darüber aus, dass von der pakistanischen Regierung noch keine Hilfe gekommen ist und die aus den USA demnächst wohl endlich anrollen werde. Hey, Amis: Wenn es um nicht-militärische Unterstützung geht, gibt es halt einige Länder, die deutlich schneller sind als Ihr!
Besonders peinlich wird es dann, als ein extrem gut frisierter Reporter einen 84-jährigen Pakistani als Staffage missbraucht. Deutlich sichtbar weiß dieser alte Mann nicht einmal, was dort mit ihm geschieht – er sitzt einfach vor seiner kleinen Hütte, während der gegelte CNN-Dumpfplauderer sich darüber auslässt, dass viele Menschen in Pakistan in so kleinen Hütten wie dieser Mann hier leben müssen und viele davon selbst dies jetzt verloren hätten.
Gestern Vormittag waren wir noch in kleinen Dörfern im Osten von Sierra Leone – weit ab von allem, was man nur im Entferntesten eine Straße nennen könnte. Auch hier ist jetzt Regenzeit, und auch hier leben die Menschen in entsetzlicher Armut, mit bis zu 20 Personen in kleinen Hütten aus Lehm und mit Dächern aus Palmwedeln.
Doch zum Glück haben die Menschen hier keine Fernseher, höchstens mal das ein oder andere Radiogerät, was in den wenigen Stunden läuft, in denen der einzige Stromgenerator des Dorfes seine Arbeit verrichten muss. Früher, sagt mir der Chef eines dieser Dörfer, kamen oft Männer vorbei und versuchten, die Radiogeräte zu kassieren. Hatten sie Erfolg, kamen – wie durch ein Wunder – kurz danach weitere Männer, die vorgaben, von der Regierung zu sein. Angeblich gebe es neue Gesetze, das hätten sie ja im Radio hören müssen, und sie wollten jetzt die neuen Abgaben kassieren.
In einem Land, in dem 64% der Einwohner Analphabeten sind, ist das Radio für diese Menschen die einzige halbwegs verlässliche Informationsquelle. Die Methoden der skrupellosen Geschäftemacher waren also besonders perfide, denn wie sollten sich die Menschen dagegen wehren? Die Dörfer im Norden und Osten von Sierra Leone sind so abgelegen, dass es oft nicht einen einzigen Einwohner gibt, der jemals eine Schule besucht hat.
Erst, seit die Sozialarbeiter der DAHW nach dem Ende des Bürgerkriegs auch wieder in diese Gebiete fahren konnten, sind diese Menschen sicher vor solchen Räuberbanden. Mit grundlegenden Informationen haben die DAHW-Teams die Dorfgemeinschaften so gestärkt, dass sie sich nun nicht mehr so einfach austricksen lassen.
Auf der Rückfahrt nach Freetown siegt aber die Sorge um die Zukunft dieser armen Regionen über die Freude, endlich wieder ein bewohnbares Hotelzimmer zu beziehen. Ich blicke mich um zu unserem Team und bin mir sicher, dass diese Männer und Frauen es schaffen werden, auch die Menschen in diesen abgelegenen Dörfern weiterhin so zu unterstützen, dass sie künftig ihr Schicksal selbständig meistern können. Vorausgesetzt natürlich, wir in Deutschland unterstützen dieses Team bei seiner schwierigen Arbeit.
Erst sehr spät kommen wir wieder in Freetown an, schließlich ist Regenzeit und selbst mit einem Geländewagen muss man extrem vorsichtig fahren. Doch dann kommt der große Augenblick, auf den ich jetzt seit vier Tagen warte: fließendes Wasser, also beschließe ich, mich nun doch endlich von dem mir inzwischen schon fast lieb gewordenen Dreck zu trennen, der inzwischen mit wohl jeder einzelnen Pore meiner Haut fest verwachsen scheint.
Vorher schalte ich das Radio ein – BBC Afrika ist normalerweise eine wohltuende Alternative zu CNN als Informationsquelle, der Unterschied im Niveau gleicht ungefähr dem zwischen der Tagesschau und dieser bebilderten Illustrierten, die bei RTL2 „News“ genannt wird. Es braucht schon einige Zeit, um den ganzen Dreck der Reise durch Sierra Leone zu lösen, daher werde ich Zeuge einer unglaublichen, zweistündigen Sondersendung von BBC zu dem weltbewegenden Thema, dass in einem Safaripark in Kenia vier Elefanten an Tuberkulose gestorben sind.
Irgendwie schäme ich mich, selbst Journalist zu sein, Kollege also dieser BBC-Mitarbeiter, die für eine solche Themenauswahl verantwortlich sind. In zwei Stunden nicht ein einziges Wort darüber, dass weltweit rund 2 Mio. Menschen jedes Jahr an Tuberkulose sterben und allein hier in Freetown Zigtausende an TB erkrankt sind. Dafür ein schier endloses Gefasel über den Tod von vier Tieren, die zuvor eine kommerzielle Attraktion für Touristen waren.
Zwei Dinge lerne ich allerdings aus diesem unwürdigen Hörspiel in der Badewanne: Erstens werde ich ab sofort meine Rundfunkgebühren in Deutschland pünktlich bezahlen, damit die öffentlich-rechtlichen Sender nicht noch weiter in Richtung dieses unwürdigen Niveaus abrutschen. Und zweitens werde ich Sie weiterhin darüber informieren, was mit den Menschen hier in Afrika passiert – wie das Leben aussieht in den ärmsten Ländern dieser Erde und wie wir gemeinsam diesen Menschen helfen können.