Zum Film über Masanga

Zu den grundlegenden Wesenszügen des Sozialismus gehört es, dass es keinerlei Ausnahme geben darf: entweder bekommen alle etwas, oder niemand. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum diese Form des Zusammenlebens so grandios gescheitert ist. Obwohl, es gibt weiterhin unentwegte Verfechter des Sozialismus, insgesamt 37 (in Worten: siebenunddreißig!) verschiedene Formen und Theorien dafür haben sie sogar wissenschaftlich entwickelt – frei nach dem Motto: erst eine Form ist ja gescheitert, also können wir noch weitere 36 ausprobieren. CBR Makeni 296
Meine persönliche Theorie zum Sozialismus nennt lediglich eine einzige Form, die in der Realität auch funktioniert und die heißt: Knoblauch! Warum? – Ganz einfach: Wer auch immer mit Freunden Knoblauch genießen will, hat höchstens zwei Möglichkeiten: alle oder keiner, gelebter Sozialismus, dachte ich zumindest bis heute.
Schon wieder sind wir heute zum Mittagessen in einem Lepradorf eingeladen worden, und schon wieder löffeln wir alle gemeinsam aus einer riesigen Schüssel Reis mit Hühnchen. Heute war sogar etwas Fisch dabei – eine Kombination, die ich bislang noch nicht kannte, meine Geschmacksknospen allerdings gar nicht so übel fanden, wie es der erste Anschein von Hirnaktivität hätte vermuten lassen. Allerdings geht es dem ganzen Team so, also ist diese Kombination hierzulande wohl lediglich in diesem kleinen Dorf bei Masanga, einige Kilometer südlich von Makeni, üblich.
Nach dem Essen wird erst einmal getanzt – das sollte man in Deutschland übrigens auch einführen, ist für die Verdauung nicht die schlechteste Lösung. Dann hören wir uns die Sorgen und Nöte der Dorfbewohner an, von denen es wahrlich mehr als genug gibt. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Die Ernte wird in diesem Jahr wohl richtig gut werden, der Reis auf den überfluteten Feldern gedeiht prächtig, die Wurzeln der Cassava werden durch den Regen dick und rund, und der Mais überragt mich schon jetzt um Längen.
Ich lerne hier, dass in diesem Dorf – wie in allen CBR-Projekten der DAHW in Sierra Leone – alles geteilt wird, nicht nur das Mittagessen aus einer großen Schüssel. Der Ertrag aus dem Verkauf der Ernte geht in eine Gemeinschaftskasse, aus dem jeder Arbeiter seinen Lohn erhält. Selbst Alte und Kranke bekommen ihre Anteile, auch wenn es manchmal knapp wird, denn bevor verteilt werden kann, muss natürlichauch investiert werden: Saatgut, Werkzeuge, kleinere Maschinen oder Ausbesserungen an den gemeinschaftlichen Einrichtungen gibt es auch hier nicht zum Nulltarif. Schnell kommt mir der Gedanke, ob Sozialismus nicht doch funktionieren könnte, nur eben nicht im Großen als Staatsform, sondern eher im kleinen Bereich? – Schließlich sind Genossenschaften auch in Deutschland ziemlich erfolgreich.
Hier lebt das Prinzip der Ur-Genossenschaft mit Hilfe der Sozialarbeiter der DAHW wieder auf und bringt Dörfer mit ehemaligen Leprapatienten dazu, wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaften zu werden. Diese Form des Zusammenarbeitens haben allerdings weder Marx, Engels, noch Lenin erfunden: Erstmals erfolgreich umgesetzt wurde die Idee von den Wiener Siedlern – arme Arbeiter aus den Vorstädten der habsburgischen Residenzstadt, die sich im 19. Jahrhundert ohne gemeinschaftliches Anpacken niemals eine menschenwürdige Behausung hätten leisten können.
Mal abgesehen davon haben sich schon Klaus Störtebecker und seine Mannen „Likedeeler“, also auf Deutsch „Gleichteiler“ genannt und dieses Prinzip wohl auch praktiziert – obwohl man die Piraterie im Allgemeinen nicht ganz mit der ehrlichen Arbeit der Menschen hier in Masanga gleichsetzen kann. Also: Das Prinzip ist schon sehr, sehr alt, nur hat es hier in den kleinen und oft von der Außenwelt fast abgeschnittenen Lepradörfern für neuen Schwung gesorgt und es erinnert mich trotzdem ein klein wenig an Sozialismus – muss wohl mit der deutschen Bezeichnung Genossenschaft zusammenhängen.
Perfekt wird die Erinnerung dann am Abend, als wir in Bo, im Osten des Landes ankommen, nach langer fahrt über die „Diamond Road“. Hier wurden früher die „Blutdiamanten“ geschmuggelt. Bo selbst war der Umschlagplatz für die Steine, die für eitle Menschen wohl die Welt bedeuten müssen. Hier erfahre ich an jeder Ecke, wie ganze Lastwagen voller Waffen aus Liberia gegen kleine Beutel mit gläsernen, aber furchtbar harten Steinchen getauscht wurden. Nicht von ungefähr steht der damalige Staatschef Liberias, Charles Taylor, derzeit vor den Richtern des UN-Tribunals in Den Haag.
Was aus dieser Zeit geblieben ist, wirkt wie aus einem schlechten Film: Glücksritter, Spekulanten und Transporteure hoffen auf das große Geschäft, ihnen folgen fliegende Händler sowie dubiose Unternehmen mit ihren Spielhallen (eher kleine Hütten), Restaurants (zumeist Imbissbuden), Bars und Bordellen. Manch einer mag dies als „Sodom und Gomorra“ bezeichnen, und das Leben hier ist deutlich teurer als in den kleinen Dörfern der Umgebung – Not und Elend sind in Bo an jeder Ecke zu sehen.
Aber Hotels gibt es hier eben auch an jeder Ecke – sogar solche, die keine verkappten Bordelle sind. Wir entscheiden uns gerne für ein solches und werden kaum enttäuscht: Das Niveau liegt kaum unter dem der vergangenen Nacht. Ich habe es bislang nicht für möglich gehalten, wie viele Ritzen und Spalten es gibt, in denen kleine Tiere, die ich so noch nie zuvor gesehen hatte, verschwinden können, sobald sie auf Licht treffen.
Ich entscheide mich also für kein Licht und gehe schnell schlafen – wieder auf der Tagesdecke. Früh am Morgen dann sind mit der Sonne auch die vielbeinigen Mitbewohner verschwunden, also scheint ja auch nichts passiert zu sein. Trotzdem gebietet der Blick in das, was auch hier als Bad bezeichnet wird, die gleiche Prozedur wie am Vortag, und schon wieder kommt der Sozialismus ins Spiel: alle oder keiner! Gemeinsam stinkend sitzen wir also wieder im Fahrzeug und machen uns auf zu den nächsten Projekten. Mein Weltbild mit meiner schönen Knoblauch-Theorie allerdings gerät derzeit stark ins Wanken, doch das kann ich ja ohnehin nicht mehr riechen.