Manchmal muss abends auch ein Bierchen auf einen ereignisreichen Tag getrunken werden. Das hat in Deutschland schon eine lange Tradition und ich habe das von meinem Vater gelernt, als Schmied ein langjähriges Mitglied des ehrbaren Handwerks. So lange schon, dass er zumindest noch von seinem Lehrmeister die alten Sitten kannte, bevor es die heutigen Berufschulen Schreiner-02-kleingab.
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, oder „Lehrgeld bezahlen“, sind nur zwei Sprichwörter, die durch das goldene Handwerk Einzug in den normalen Sprachgebrauch gehalten h
aben – auch, wenn die Zeiten alles andere als golden waren. Aber selbst mein Vater, ja sogar sein gestrenger Lehrmeister und selbst dessen schmiedende Ahnen der Innung wären wohl blass geworden, hätten sie von Ousmane Bayo gehört.
Erst mit 31 Jahren hat Ousmane seine Lehre beendet – ja, in Senegal sagt man noch „Lehre“, wie im aktiven deutschen
Handwerk übrigens auch noch. Nur die Funktionäre, also diejenigen, die durch ihre vielen politischen Pöstchen schon weg sind von der Arbeit, benutzen den politisch korrekten Begriff „Azubi“, der für geneigte Handwerksgesellen allerhöchstens die Abkürzung für den Tätigkeitsbericht des ersten Lehrjahres darstellt: „A… zum Bierholen“.
Jedenfalls ist es in Deutschland in Zeiten von Dauergästen im Hotel Mama nicht unüblich, dass jemand erst mit 31 Jahren seine Ausbildung beendet, aber selbst in Zeiten von Pisa-Studien wäre eine Ausbildungszeit von 18 Jahren schon ein Wunder. Nicht so bei Ousmane in Velingara: Mit 13 Jahren hatte er seine Lehre begonnen und erst mit 31 Jahren hat sein Meister zu ihm gesagt, dass er jetzt gut genug sei, um selbständig arbeiten zu können.
Recht hatte er, der Meister, denn das, was Ousmane heute, nur sieben Jahre später anfertigt, sind wahre Meisterstücke. Das größte Meisterstück aber liefert er mit einem alten Freund gemeinsam ab: Menschen mit Behinderungen fertigen unter seiner Anleitung dort Holzpuzzles, die sie an Schulen und Kindergärten, aber auch an Unternehmen oder Touristen verkaufen. Aber diese Geschichte ist so faszinierend, dass sie ausführlich und daher an anderer Stelle erzählt werden muss.
Wir jedenfalls sind so begeistert von dieser Arbeit, dass wir darüber glatt die Zeit vergessen und viel zu spät uns auf den Weg nach Kolda machen. 200 Kilometer in Senegal ist sind nun mal deutlich mehr als 200 Kilometer in Deutschland – nicht nur von der Zeit, die man benötigt, sondern entgegen jeglichen Logik auch in Bezug auf die Strecke. Des Rätsels Lösung liegt wahrhaftig in den Straßen: Schlaglöcher, die größer sind als die auf den Nebenstraßen im Ruhrgebiet wollen weiträumig umfahren werden.
Weil es schon während der Fahrt dunkel wird, erinnern wir uns an die Gefahr von Überfällen. Besonders beliebt bei den Gangstern sind die Schlaglochstellen, bei denen die meisten Fahrzeuge fast Schrittgeschwindigkeit fahren müssen und wo die üppig wuchernden Bäume direkt neben der Straße eine optimale Deckung bilden. Unser Schutz heißt also Rüttelstrecke mit Stoßdämpfer- und Magentest.
Auf die Kontrollstellen, die Polizei und Militär zum Schutz vor den Räubern eingerichtet haben, wollen wir uns doch nicht verlassen. Schon bei der ersten dieser Kontrollen fragten wir uns, wer eigentlich den Soldaten bewacht, damit dieser nicht selbst gestohlen wird. Also weiter im hohen Tempo, bis wir auf einen Bus stoßen, der gerade erst vor zwei Minuten ausgeraubt wurde.
In Deutschland würde man jetzt erst die Warndreiecke aufstellen, dann die Sicherheitswesten anziehen und per Mobiltelefon die Polizei rufen (aber nicht, ohne zuvor den Motor abzustellen, weil es sonst 40 Euro und einen Punkt kosten würde), in Senegal gibt man einfach Gas. Nicht etwa, weil es hier weder Warndreiecke noch Sicherheitswesten oder Mobilfunk gäbe, sondern weil man eben nicht das nächste Opfer sein will. Vielleicht sind die Räuber noch in der Nähe und bekommen durch das zweite Auto Lust auf bezahlte Überstunden. Dann lieber Gas geben!
Spät, aber glücklich und unversehrt sowie im Besitz all unserer bescheidenen Reichtümer landen wir dann endlich in Kolda. Die Übernachtungsmöglichkeit (Hotel steht zwar dran, aber das möchte ich hier lieber unter den Tisch fallen lassen) gestaltet sich einfach, aber leider nicht sauber. Wenn Sie jetzt in Ihre Küche gehen und an der Dunstabzugshaube den Fettfilter wechseln, hätten Sie eine ungefähre Vorstellung dessen, was hier an einigen Wänden und Tischen klebt.
Das Beste an diesem Haus ist das Bier, und das nicht nur zur Entspannung nach getaner Arbeit und der gelungenen Flucht vor Räubern: In Senegal wird Gazellen-Bier gebraut (bevor militante Tierschützer jetzt zu übereilten Aktionen aufrufen: Das heißt nur so!), und das schmeckt richtig klasse. Wahrscheinlich hat der Braumeister sein Handwerk ebenfalls sehr lange lernen müssen und wir überlegen uns, warum eine 18-jährige Grundausbildung nicht auch für Hotelbetreiber zur Pflicht werden sollte.