„Arbeit adelt – wir bleiben bürgerlich.“ Ich erinnere mich noch genau an diesen Spruch, eingebrannt in Holz über dem Eingang zum Partykeller im Haus eines meiner vielen Onkel. Es gab halt eine Zeit, in der ein Partykeller ebenso „in“ war wie sinnentleerte Sprüche in Holztafeln eingebrannt. Heute werden sie auf T-Shirts gedruckt oder Mario Barth bringt sie in seiner Show und lässt sie dann auf T-Shirts drucken, obwohl sie schon mein Vater kannte, als der noch jung war. Aber das ist schon wieder ein ganz anderes Thema.
In besagtem Partykeller nämlich wurde das ehrbare Handwerk gefeiert. Eine genau festgelegte Prozedur, wie sie von Handwerker zu Lehrling seit Jahrhunderten weitergegeben wird. Auf die Ansprache „Gott schütze das ehrbare Handwerk“ folgt die Antwort „Gott schütze es“, worauf die Gläser üblicherweise in einem Zug geleert werden. Zumindest das Handwerk der Braumeister und Schnapsbrenner wird dadurch direkt geschützt. Dass ich selbst kein ehrbares Handwerk erlernt habe, muss demnach wohl an meiner mangelnden Trinkfestigkeit liegen.
Was ist aber mit all den anderen Handwerkern, die sich nicht schon früh in Gilden organisiert und in Kammern vor unliebsamer Konkurrenz abgeschottet haben? Sind das alles Abstinenzler oder wollen die eben nicht bürgerlich bleiben? Wenn Arbeit wirklich adelt, dann habe ich heute so viele Menschen mit blauem Blut gesehen, dass die gesamte Klatschpresse von Monaco nach Ghanta in Liberia umziehen müsste. Würde denen auch nicht schlecht bekommen, mal ehrlich zu arbeiten. 8-Ghanta-2 144-klein
Wir machen mal einen kleinen Test – wer mitmachen will, der hole sich jetzt schnell Nadel und Faden – ich warte auch so lange, bis alle wieder da sind. In der Zwischenzeit können wir uns ja mit alten Witzen von Mario Barth… Halt, nicht weglaufen, nur Nadel und Faden holen. Fertig? – Dann geht es jetzt los: Nähen, ist ja nicht schwierig. Und jetzt mal ohne den Zeigefinger zu benutzen. Immer noch einfach? Dann auch mal ohne Mittelfinger. Schon schwieriger? Dann versucht es jetzt mal ganz ohne Finger oder Daumen.
So ungefähr sehen nämlich die Hände einiger Menschen aus, die jahrelang an Lepra gelitten haben, ohne dass sie eine Chance auf medizinische Behandlung hatten. Von den Händen sind oft nur die Handteller übrig geblieben. Doch sie nähen, schnitzen, flechten Körbe, machen Besen und übernehmen alle Tätigkeiten, die ihnen die meisten von uns erst mal nicht zutrauen würden.
Natürlich könnten sie sich auch zurücklehnen und sagen: Lieber Staat oder liebes Hilfswerk, ich bin ein armer, ehemaliger Lepra-Patient, kann nicht arbeiten (will also bürgerlich bleiben) und Du musst mich dafür ernähren. Machen sie aber nicht. Wollen sie auch nicht. Denn zu oft sind sie schon ausgestoßen worden und daher leben sie hier in Ghanta, wo ihre Krankheit erfolgreich medizinisch behandelt wurde.
Hier stößt sie keiner aus, im Gegenteil: Hier werden sie gefördert, lernen diese Berufe, mit denen sie sich selbst und ihre Familien selbst ernähren können. Jeder hier im Hospital, dem es Krankheit oder Alter ermöglichen, arbeitet. Überall sieht man geschäftiges Treiben, hört man die typischen Geräusche von arbeitsamen Menschen wie damals bei den Heinzelmännchen in Köln. Nur anders als im Märchen verschwinden die fleißigen Adeligen von Ghanta nicht, als ich – neugierig, wie ich im meinem manchmal auch etwas ehrbaren Beruf nun mal bin – hinter die Kulissen schaue.
Ich kann gar nicht sagen, welche fleißigen Handwerker mich am meisten beindrucken. Dafür lege ich ein kleines, lokales Wirtschaftsförderungsprogramm auf. Nach jedem zweiten Fototermin muss ich zurück zum Gästehaus gehen. Nicht etwa, weil die Akkus so schnell leer sind oder die Sonne mal wieder erbarmungslos brennt, sondern um die ganzen Sachen dort zu deponieren, die ich hier kaufe.
Ich habe zwar noch keinen blassen Schimmer, wie ich all das im meine Tasche packen oder am Zoll vorbeischmuggeln kann, aber dafür habe ich all meine Weihnachtsgeschenke beisammen. Kein China-Schrott, sondern alles handgefertigt von fleißigen Händen, obwohl diese durch Lepra nicht mehr wie Hände aussehen. Zumindest, wenn man den üblichen „guten Geschmack“ als Maßstab nimmt, aber das macht bei Mario Barth ja auch niemand, sonst würde er ja nicht mehr auftreten. Ghanta-2 280-klein
Die Holzschnitzer. Doch, jetzt habe ich einen Handwerkszweig gefunden, der mich vor Ehrfurcht hat verstummen lassen – wer mich kennt, weiß, was das bedeutet. Sprachlos nicht nur wegen der Fingerfertigkeit – trotz des Fehlens derselbigen. Es gibt hier ein spezielles Holz, das von außen völlig normal aussieht, eher etwas farblos. Fängt man an zu schnitzen, wird es rot – je weiter man zur Mitte des Holzstücks kommt, umso dunkler wird die anfangs knallrote Farbe.
Solche Farbspiele bringt halt nur die Natur hervor und die Holzschnitzer aus dem anfangs unförmigen Klotz heraus. Wer mich zu Weihnachten besuchen kommt, wird es sehen und bestaunen können, denn ich habe mir eine komplette Weihnachtskrippe gegönnt: Maria und Josef mit dem Junior-Chef in der Krippe, dazu die Hirten und natürlich die drei Könige. Natürlich tragen sie allesamt afrikanische Gesichtszüge, denn auf diesem Kontinent ist ja die Wiege der Menschheit. Daher gibt es auch nicht Ochs und Esel dazu, sondern Schaf, Ziege, Kamel und Giraffe. Und wem das nicht gefällt, der kann auch gleich zu Mario Barth gehen.